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07.10.20 –
Pegnitz
Integration wird in Pegnitz von einem aktiven Kreis in der Praxis gelebt. Zu dem gehört unter anderem die Stadt- und Kreispolitikerin Susanne Bauer (B90/Grüne). Mit einer Integrationsbeauftragten und einem Integrationshaus in der Brauhausgasse ist Pegnitz eigentlich gut aufgestellt. Aber im Kreis müsste noch etwas getan werden. Und der neue Landrat Florian Wiedemann (FW) hat dieser Tage angedeutet, dass er einen Integrationsbeirat auf Ebene des Landkreises befürwortet. Einen solchen Beirat gibt es in der Stadt Bayreuth bereits. Die Redaktion sprach mit Susanne Bauer über das Thema Integration in Pegnitz.
Frau Bauer, die Stadt Bayreuth hat bereits einen Integrationsbeirat. Kennen Sie dessen Arbeit?
Susanne Bauer: Ja, natürlich, mit einigen Beiräten und Beirätinnen bin ich privat wie auch in der Arbeit für Pegnitz verbunden – neben der Beteiligung zum Beispiel an interkulturellen Wochen und dem Einsatz gegen (Alltags-)Rassismus und Diskriminierung. Sehr wertvoll finde ich das MiMi-Gesundheitsprojekt: gerade jetzt mit der Übersetzung von Corona-Hygieneregeln in viele Sprachen.
Landrat Florian Wiedemann (FW) hat einen solchen Beirat auch für den Landkreis angekündigt. Was erwarten Sie sich als lokale Unterstützerin der Integrationsarbeit davon?
Bauer: Davon erhoffe ich mir mehrere Dinge: zum einen die Bündelung guter Ideen und wichtiger Informationen aus den Reihen der ehrenamtlichen Akteure rund um die Hilfen für Geflüchtete, aber auch einen stärkeren Fokus auf Menschen mit Migrationshintergrund ohne Flucht. Viele Menschen sind seit Jahren hier und in unserer Gesellschaft noch nicht angekommen, haben Schwierigkeiten mit der Sprache und sind oft ratlos, weil sie nicht wissen, wie sie sich integrieren sollen und wo sie Antworten auf Fragen bekommen können, auch wenn es um Schule, Bildung, kulturelles Leben geht – dazu braucht es ja beide Seiten. Und hier kann ein Migrations- und Integrationsbeirat durchaus helfen. Integration ist kein Selbstläufer, aber es gibt viele Möglichkeiten zum Gelingen beizutragen: allein dadurch, dass verschiedene Perspektiven auf unser Zusammenleben eingenommen werden. Wir haben in Pegnitz das Glück, mit Veronika Kobert eine tolle Frau mit Erfahrungs-Expertise als Integrationsbeauftragte zu haben: Dadurch wird vieles leichter, sie konnte uns beispielsweise leicht vermitteln, dass für die ersten Besuche von Festen oder Veranstaltungen in der Stadt eine persönliche Einladung und das Angebot in Begleitung teilzunehmen die Hürde für Neuankömmlinge überwindbar macht — viele haben da ja auch Angst allein dazustehen oder etwas falsch zu machen. Und natürlich auch das gemeinsame Erleben, das dann das gegenseitige Vertrauen wachsen lässt.
Wie groß sollte so ein Beirat Ihrer Meinung nach sein, um effizient arbeiten zu können?
Bauer: 16 bis 20 Menschen hielte ich für ausreichend: Zwar haben wir sehr viele verschiedene Nationalitäten und Ethnien im Landkreis, aber ich denke auch, dass viele Themen ähnlich sind und die Zusammenarbeit selbst die notwendige Kultursensibilität erzeugt, um dem gerecht zu werden. In Bayreuth bilden sechs Stadträte und 14 ehrenamtliche Integrationsbeiräte den Beirat.
Welche Aufgaben sollte so ein Beirat haben?
Bauer: Zentrale Aufgabe könnte sein, nach außen zu tragen, welche selbstverständliche Rolle Menschen mit Migrationshintergrund in unserem gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Leben spielen und zugleich dafür zu sensibilisieren, wie schwer es ist, beispielsweise als Kemal oder Ruslana auch nur zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Auch wenn man schon in der x-ten Generation in Deutschland lebt, gibt es hier Hürden zur Teilhabe, die wir Müllers, Hubers, Bauers nicht wahrnehmen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist, die Gemeinsamkeiten hervorzuheben und zugleich die Perspektivenvielfalt interkultureller und interreligiöser Koexistenz zu zeigen. Abgesehen davon, sollte der Beirat natürlich Ansprechstelle sein für Menschen mit Migrationshintergrund: um alltagspraktische Hilfen zu vermitteln und Probleme und Ängste auch in den Kreistag und das Landratsamt hineinzutragen.
Wie sieht die Integrationsarbeit in Pegnitz aktuell aus?
Bauer: Bedingt durch Corona finden weit weniger Aktivitäten statt, als noch vor ein paar Monaten. Aber dadurch, dass viele Menschen sich schon auskennen in Pegnitz und sie sich auch gegenseitig weiterhelfen, ist das zumindest vorübergehend so in Ordnung. Uns ist durch die Offenheit unserer Angebote deutlich geworden, wie viele Menschen schon lange hier bei uns leben und nicht so richtig angekommen sind. Die viel beschworenen Automatismen, wie Integration über Sport oder Schule und Arbeit, funktionieren an sich schon, aber eben nur bedingt: Viele Menschen berichten, dass sie keine richtigen Freundschaften zu Einheimischen haben; wenige folgen Einladungen zu ihnen nach Hause und umgekehrt werden nur wenige zu einheimischen Familien eingeladen. Und das ist je nach Kulturkreis oft sehr schmerzlich, wenn man gewohnt ist, in größeren Runden oder Familienverbänden zu leben, da kann das dann schon einsam sein.
Die Zahl der Asylbewerber dürfte doch rückläufig sein?
Bauer: An sich ja: Die Abschreckungsarbeit im Mittelmeerraum und mangelhafte europäische Zusammenarbeit in der Verteilung von Geflüchteten unter Verzicht auf Menschenrechte macht sich bemerkbar. Es wird zwar weiter Not erzeugt, auch durch unsere ausbeuterischen Wirtschaftspraktiken und Waffenexporte im großen Stil, aber bei der Mitverantwortung für die Konsequenzen hapert es gewaltig. In Pegnitz ist die Unterkunft dennoch gut gefüllt. Als im Landkreis Einrichtungen geschlossen wurden, wurden Menschen umverteilt und auch aus dem Ankerzentrum Bamberg nach Pegnitz verlegt.
Wo ist im örtlichen Bereich aus Ihrer Sicht noch Nachholbedarf?
Bauer: Vieles läuft sehr gut hier, und ich denke, wir genießen das Vertrauen auch durch Mundpropaganda bei Neuankömmlingen. Was wir viel mehr bräuchten sind – gerade auch für lokale Arbeitgeber – die Möglichkeit, Geflüchtete anzustellen: Das scheitert immer wieder an nicht erteilten Arbeitsgenehmigungen. Und wir würden gern mehr Begegnung schaffen, was mit Corona eben sehr schwierig ist. Ich denke gern an gemeinsame Ausflüge oder die nigerianischen Kochabende mit Rosemary Proudman zurück: Das war ein Projekt, das wir gern fortführen und ausbauen würden – Liebe geht schließlich durch den Magen!
Sind Sie bei der Integrationsarbeit als Aktive auch gemeindeübergreifend vernetzt?
Bauer: Ja, natürlich. Es gibt viele Akteure mit Flübb (Bad Berneck), dem SiSo-Netz in Weidenberg, viele kleinere Gruppen und Einzelakteure im Landkreis und darüber hinaus. Hier ist ein Netzwerk entstanden, das sich zu verschiedenen Themen austauscht: organisiert über die Ehrenamtskoordinatorin des Landratsamts, Silvia Herrmann. Bei Treffen wird deutlich, wie nötig der Erfahrungsaustausch ist – das sind ja oft auch heftige Schicksale, die uns da begegnen. Wir haben also oft sehr ähnliche Herausforderungen zu bewältigen. Eine davon ist, so haben wir das beim letzten Treffen in Bad Berneck herausgearbeitet, der fehlende öffentliche Nahverkehr, aber auch die vergleichsweise selten zugelassenen Arbeitsgenehmigungen.
Gibt es finanzielle Sorgen?
Bauer: Im Moment kommen wir gut über die Runden – auch weil in den letzten Monaten die Mittagsbetreuung nicht stattfinden konnte, die wir sonst bezuschussen. Auch hier gilt im Übrigen: Jede und jeder, der in Not gerät, kann sich herzlich gern an uns wenden – wir helfen diskret, egal, ob es nun um eine Waschmaschine geht, Ausstattung für die Kinder, auch für die Schule, oder auch die Ableistung von Sozialstunden.
Wie schnell sollte die Idee eines Integrationsbeirates auf Kreisebene umgesetzt werden?
Bauer: Gestern, selbstverständlich! Aus meiner Sicht ist das überfällig, und ich bin sehr froh, dass Landrat Florian Wiedemann das noch heuer voranbringen möchte. Wir müssen das Rad dabei nicht neu erfinden, die Agaby (Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns) ist super hilfreich und bietet Rat und Tat. Und auch unsere Nachbarn in Bayreuth-Stadt sind gern bereit für den Austausch.
Das Gespräch führte Michael Grüner
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